„Die Zitrone wurde nicht nur ausgequetscht, sie hat sogar schon gequietscht.“

Das sind Orte, von denen man glaubt, dass es sie so gar nicht mehr gibt: Das alt-ehrwürdige RIAS-Gebäude am Innsbrucker Platz in Berlin. Eine Pförtnerloge mit scheinbar zur Einrichtung gehörendem Personal, die marmorne Freitreppe aus den späten Fünfzigern, lange Gänge mit eichefarbenen (?) Türrahmen, an den Wänden eine Fotogalerie von Grass bis Kohl und dann das Studio 5, in dem auch schon Ludwig Ehrhardt hätte sitzen können. Ein Haus, in dem der Glanz des deutschen Wirtschaftswunders der Nachkriegszeit optisch und architektonisch konserviert ist. Alles ein wenig ausgestorben – am vergangenen Freitagabend.

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Zensurversuch: Maredo geht juristisch vor

Quelle: queer.de; Dieses Motiv ist nicht stammt nicht von Scholz&Friends, sondern von queer Kreativ-Direktor Christian Scheuß

Nachdem die Steakhauskette Maredo durch die Agentur Scholz & Friends und deren nichtgenehmigte Kampagne „Brandzeichen“ in eine mediale Krise schlitterte (siehe seperaten Beitrag auf crisiseverywhere.com), machte der Restaurantbetreiber in der Kommunikation vieles richtig: Distanzierung von den Motiven und Inhalten, Nennung des Verursachers, Erläuterung der eigenen Position und die Kommunikation dazu. Selbst die unterschwellige Drohung, man fordere Printmedien, Websiteninhaber und Provider auf, das in Rede stehende Motiv nicht weiter zu verbreiten und weitere Downloads nicht zuzulassen – geschenkt. Insgesamt wurde die Position des Unternehmens deutlich transportiert, sowohl in klassischen Medien als auch im Social-Web. Und auch der Verursacher, nämlich Scholz & Friends, war klar benannt. Das es weiterhin Kritiker, Trittbrettfahrer und Krawallmacher geben würde, ist in einer solchen krisenhaften Situation für das betroffene Unternehmen nicht tröstlich, aber kommunikativ betrachtet eher normal. Gelassenheit und die Wiederholung der eigenen Position ist hier oft die richtige Haltung. Weiterlesen

„Tofu ist schwules Fleisch“

Oder: Warum eine Kampagne,
die nie verwendet worden ist,
jetzt für mächtig Zoff sorgt.

Eigentlich lief vor drei Jahren alles perfekt für Scholz&Friends: Man hatte eine sogenannte „Goldidee“, reichte diese beim renommierten Art Directors Club (ADC) ein und konnte mit einem silbernen Nagel letztlich auch punkten. Die begehrte Trophäe gab es für die Kampagne „Brandzeichen“ des Kunden „Maredo“. Soweit so gut. Nur hatte die Geschichte schon damals einen klitzekleinen Makel. Denn angeblich fand das Ganze zwar mit Billigung aber ohne Auftrag von Maredo statt. Und die beim ADC eingereichten Motive habe die Steakhauskette auch nie gesehen. „Kein Agenturkunde und keine Freigabe. Und wahrscheinlich noch nicht mal eine Schaltung. Das ist traurig“, meinte dazu Alexander Schill, Kreativchef des Wettberbers Serviceplan, kürzlich dazu in der WUV.

Allerdings interessieren solche Nicklichkeiten normalerweise niemanden außerhalb der Szene. Schon gar nicht nach so langer Zeit. Doch vor ein paar Tagen kochte die Sache auf einmal hoch. Plötzlich und unerklärlich kursierten die Motive „Tofu ist schwules Fleisch“ und „Wenn man Tiere nicht essen soll, warum sind sie dann aus Fleisch?“ im Netz und waren so schnell in aller Munde. Und die Krise für Scholz&Friends und Maredo da. Übrigens: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass das zeitliche Zusammentreffen mit dem Oberbürgermeister-Wahlkampf von Stuttgart zu tun hat. In diesem kandidiert Sebastian Turner, ehemals CEO von Scholz&Friends, für die CDU.

Wenn man sich die Mechanik der Krise anschaut, entwickelte sich der Ärger um die Kampagne nach klassischem Skandalisierungs-Muster: Zunächst entfachte sich die Empörung in der Web-Gemeinde selbst. Hier schlugen die meist humorlosen Wellen hoch (Twitter Hashtag #maredo). Parallel sprangen die üblichen Verdächtigen, also Verbände und Politiker, den Diskriminierten bei und forderten Abbitte und Wiedergutmachung. Maredo distanzierte sich vehement. Die Agentur Scholz&Friends wiederum entschuldigte sich flugs unter anderem im Horizont, weil das Motiv „in keinster Form die Haltung und Unternehmenskultur von Scholz&Friends widerspiegele“. Spätestens jetzt war die die ganze Geschichte in den klassischen Medien angekommen. Dort ging es dann auch fröhlich zur Sache. Mit der nicht gerade schmeichelhaften Headline „Tofu ist schwules Fleisch: Riesen-Zoff um diese Werbung“ machte beispielsweise die Hamburger Morgenpost auf. Der Spiegel schlug eine ähnliche Gangart an und meinte „Vielleicht sollte es lustig sein, vielleicht provokant. Am Ende war es aber nur peinlich“. Die Neue Presse titelte „Kreatives Desaster um schwules Tofu“.

Dass das Netz nicht nur Segen, sondern eben auch Fluch sein kann, haben wir ja bei crisiseverwhere.com schon öfter diskutiert. Was in letzter Zeit auffällt ist, dass relativ kleine Gruppen von Kritikern gewaltige mediale Wellen lostreten und Unternehmen ernsthaft in Bedrängnis bringen (siehe auch E wie einfach). In einem meiner Beiträge habe ich das Phänomen als „Aufregung erzeugt Aufregung“ beschrieben. Denn auch wenn die Plakatidee „Tofu ist schwules Fleisch“ politisch nicht korrekt sein mag, man über die Flughöhe von Kreativität und Humor kräftig streiten kann: Ob die Kritiker in der Überzahl sind, ist noch längst nicht ausgemacht. Oft sind sie einfach schneller, lauter und besser vernetzt – wissen also die Hebel des Social-Webs cleverer zu nutzen als die betroffenen Unternehmen. Unter kommunikativen Gesichtspunkten stellt sich in solchen Situationen die Frage: Gibt es vielleicht auch hier eine Mehrheit an Befürwortern, die sich eben nicht in die oft polemisch und einiger Heftigkeit geführten Diskussionen einmischen will? Wenn man sich die Kommentare unter dem Bericht der Hamburger Morgenpost oder dem Berliner Kurier anschaut, kann man das zumindest erahnen. Ein Ernie meint dort: „…Wie eine Minderheit so über die schweigende Mehrheit bestimmt, ist einfach nur erschütternd.“

Für Unternehmen bedeutet das: Wie kann ich im Zeitalter von Twitter, Facebook & Co meine Freunde, Fans und Supporter aktivieren? Die dann ohne die üblichen Schwere der offiziellen Verlautbarungen offen und direkt für eine Marke, ein Unternehmen oder ein Thema eintreten. Das ist und bleibt die große Herausforderung. Und diese sollte man definitiv nicht erst in der Krise angehen.

E wie extrem daneben?

Das haben sich die Marketingstrategen und die dazugehörigen Werber der Eon-Zweitmarke „E wie einfach“ sicher anders vorgestellt: Anstatt mit ihrem neuen TV-Spot „Einschlafen“ im Olymp der ironischen Werbung zu landen, mussten sie nach Protesten aus dem Netz und teils deftigen Medienberichten ihren neuen Spot jetzt zurückziehen. Der Grund: Viele Internetuser meinten in dem Werbefilm Sexismus und die Verherrlichung von Gewalt auszumachen.

Die Geschichte des kritisierten Films ist schnell erzählt: Frau und Mann räkeln sich im Bett. Sie zu ihm „Hase, ich kann nicht schlafen.“ Er verpasst ihr darauf einen Kopfstoß a la Zidane. Abspann: Ist doch ganz einfach. Abbinder Webadresse.

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Irgendetwas läuft immer schief

Nachdem ich mich im vergangenen Jahr nicht um crisiseverywhere.com kümmern konnte und bei praktisch jeder größeren und kleineren Krise dachte „hier müsste man eigentlich etwas posten“, startet der Blog jetzt wieder. Ganz platt lässt sich konstatieren: Selbst wenn alles rund läuft, läuft immer etwas schief.

Immer noch allgegenwärtig: Die bisher größte Krise um einen deutschen Präsidenten, jetzt Ex-Bundespräsident. Christian Wulffs Umgang mit seinem privaten Hauskauf und sein merkwürdiges Verhältnis zur, sagen wir mal, Transparenz, löste nicht nur eine mediale Welle aus: Zunächst gab es die übliche massive kritische Berichterstattung. Später sprachen nicht wenige sogar von einer gezielten Kampagne. Es folgte „lehrbuchartig“ die Kritik über die Kritik der Medien. Darf man dieses oder jenes gegenüber dem Amt, dem Präsidenten? Ja. Man darf. Dann waren da auch noch die medialen Heckenschützen zu besichtigen, welche im Zeitverlauf immer wildere Spekulation zum Besten gaben. Im Gegensatz dazu die Minderheit der Kämpfer für Wulff und eine von Anfang an eher distanzierte Kanzlerin. Wesentlich natürlich die treibende und manchmal undurchsichtige Rolle von BILD. Wie Spinger-Chef Chef Mathias Döpfner schon vor fünf Jahren so schön sagte: Wer mit BILD „im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten“. Schließlich die oft emotionalen Diskussionen in den deutschen Wohnzimmern: Kaum eine Familie oder Stammtisch, die nicht eine Meinung zur Causa Wulff hatten.

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Keine Zeit mehr zum Denken: Zerstört der Internet-Nachrichtenzirkus die Welt?

No time to think

Das Internet schafft schneller Tatsachen als Menschen denken können. Ein Beispiel: 2002 meldete United Airlines Insolvenz an. Sechs Jahre später wird daraus ganz automatisch eine News: Im Online-Archiv von „Sun Sentinal“ ist der Bericht von 2002 ohne Datum zu finden. In einer Septembernacht 2008 wurde dieser Artikel EINMAL angeklickt. Die Startseite des „Sentinal“ führt den Text plötzlich als einen der meist besuchten Beiträge. Google News listet ihn entsprechend ganz vorn und setzt das Datum 6.9.2008 dazu. Dann wird die „News“ von einem Mitarbeiter eines Investmentdienstleisters ohne Recherche in einen Newsletter aufgenommen. Ohne den Hinweiss, dass United Airlines seit 2006 wieder zahlungsfähig war. Der UA-Kurs brach um 75 Prozent ein und die Aktie musste für einige Stunden aus dem Handel genommen werden. Eine Milliarde Dollar wurde innerhalb von 12 Minuten vernichtet. Condor erging es nicht ganz so schlimm: Doch die Meldung vom 21. August 2008 zu einer Notlandung einer Maschine in Mombasa, wurde ganz automatisch im März 2009 wieder verbreitet und so zu einer News sogar für Printmedien.

„Shit happens“, könnte man meinen. Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Zuviele News sind online, bevor Unternehmen reagieren. Ob automatisch generiert oder von Pressure Groups gepusht, Corporate Communications tut sich schwer mit der Geschwindigkeit, Kürze und Prägnanz, die im Web zählt. Drei Minuten Reaktionszeit bei Twitter? Ein Blog-Eintrag ohne Abstimmungsprozedur? Im Normalfall heißt’s: Vergessen Sie’s. Wie immer die Antwort aus den Konzernkommunikationen auf Google News, Blogosphere und Social Media aussehen wird: Profundes Nachdenken über notwendige Entscheidungen und ihre Kommunikation werden auch im Web 2.0 Zeitalter das sein, was zählt. Auch wenn die Zielgruppen länger als drei Minuten auf das CEO-Statement warten müssen.

Dazu ein Beispiel aus der jüngsten Geschichte. Der Pulitzer-Preisträger Howard Rosenberg und Reporterlegende Charles S. Feldmann gehen in ihrem Buch „No time to think“ einen Schritt weiter und fragen, ob der 24/7-Nachrichtenzyklus des Internet profunde Entscheidungen überhaupt unmöglich machen kann. Sie interviewten Ted Sorensen, einen der Berater von JFK während der Kubakrise 1962. Auf die Frage, wie die Dinge sich heute entwickelt hätten, antwortet Sorensen: „Wäre das erste Zeichen der Raketenkrise der Öffentlichkeit bekannt geworden, hätte der 24/7-Nachrichtenzyklus einen enormen Druck auf den Präsidenten erzeugt, sofort zu reagieren. […] Höchstwahrscheinlich hätte das bedeutet, dass wir einen Luftangriff gegen die Raketen und ähnliche Ziele gewählt hätten. Das hätte laut Pentagon höchstwahrscheinlich einen Einmarsch und eine Besetzung Kubas nach sich gezogen. Und dann hätten wir höchstwahrscheinlich entdeckt, dass die Sowjettruppen in Kuba sowohl über taktische Nuklearwaffen als auch die Berechtigung, sie bei jedem US-Angriff einzusetzen, verfügten. Das Ergebnis wäre ein Atomkrieg und die Zerstörung der Welt gewesen.“ Webkritik hin oder her – das alles haben die Autoren natürlich auch 24/7 unter notimetothinkbook.com veröffentlicht.